Wir müssen zu unserer Erleichterung nicht jedem Körperkult in Argentinien (ich sage nur Tanga & Tattos) folgen, sondern ab jetzt für drei Wochen unserer Leiterin Simone (warum ich liebevoll Schlampe sage, erfahrt ihr noch) und der Reisegruppe!
Wir treffen im Hotel aufeinander und beschnuppern uns anschließend beim kulinarischen Klassiker Bife di Lomo (Filetsteak) in einem Grill-Restaurant (Asado & Parilla) in San Telmo. Die nächsten Wochen werden wir zu elft aktiv miteinander verbringen - schließlich haben wir eine Aktivreise durch Patagonien gebucht. Sind ja nicht zum Vergnügen hier!
Aktiv besuchen wir bei glühenden 34 Grad den Kunsthandwerkermarkt in San Telmo (immer sonntags) und werden anschließend mit einem klimatisierten Privatbus zum Stadion von La Bocca kutschiert. Dass die Nation mehr als nur fußballfanatisch ist, wissen wir nicht erst seit Messi & Co. zuletzt den Coppa Mundial gewonnen 🏆 haben. Es gibt zwei Vereine in BA, die sich gegenseitig - so muss man sagen - abgrundtief hassen. Das erstreckt sich zum Teil bis in familiäre Strukturen! Da es in der Vergangenheit bereits zu Todesfällen gekommen ist, werden bei den Derbys ganze Stadtteile abgesperrt und Fans des gegnerischen Teams ausgeschlossen.
Wir erschließen uns dieses besondere Stadtviertel auf dem sogenannten Caminito (kleiner Rundweg), den wir unter keinen Umständen verlassen sollen. Zu gefährlich!
In knallbunten Wellblechhäusern leben die Bewohner hier, deren Anfänge zurückgehen auf die ersten Siedler aus Italien, die sich als Fischer niederließen.
Tangomusik ertönt, Verkaufsstände mit viel Buntem und Nutzlosem, vor allem aber Souvenirs jeglicher Art werden angeboten. Es ist rein touristisch, laut, bunt, heiß und insgesamt nach einer Stunde ein Overflow für die Sinne. Weiter geht es durch die Hauptstadt u. a. zum Regierungspalast (Casa Rosada) und zur Kathedrale - der Heimatkirche des amtierenden Papstes Franziskus.
Tags drauf besuchen wir ein von unserem Reiseveranstalter unterstützten Sozialprojekt im Stadtviertel Isla Maciel. Es gilt als benachteiligt und problematisch. Sicherheitshalber werden wir von einem der Projektleiter (er ist Lehrer dort und stammt aus diesem Viertel) und mehreren "seiner" Jugendlichen begleitet - sie flankieren unsere Gruppe und sind sehr nett, zugänglich, sprechen so viel Englisch wie wir Spanisch! Aber wir verständigen uns etwas. Sie bereiten uns in den Räumen ihres Museums ein Mittagessen zu mit selbstgemachten klassischen Empenadas und Chorizowurst-Brötchen. Anschließend besuchen wir die Ausstellung, an der sich die Jugendlichen aktiv beteiligen.
Wellblechhütten, ärmlichste Verhältnisse, von den hygienischen Zuständen ganz zu schweigen und die wir uns kaum als Zuhause vorstellen können, lassen uns nachdenklich zurück. Erfreulich sind die von der Schule organisierten Projekte, in denen Jugendlichen Halt und Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Graffitis schmücken fast alle Hausfassaden. Während wir uns in Deutschland gegen Graffitisprüher wehren und sie oft als kriminell gelten (manchmal auch zu recht), will jede Familie unbedingt ein farbenprächtiges Bild haben. Für sie ist es eine Auszeichnung und sie sind auf ihr Graffiti stolz! Inzwischen reisen sogar Künstler*innen aus der ganzen Welt an, nur um ihr Graffiti dort zu verewigen!
Simone hat noch eine riesige Überraschung in petto: Eine fette Schokoladentorte für Christian zum Geburtstag wartet auf uns! Cool, oder!? Wir stärken uns alle mit Kaffee und Kuchen und sitzen dann schon im Privatbus zum Flughafen!
Mit den multiplen Eindrücken der vielen unterschiedlichen Stadtteile und Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt im Herzen, sitzen wir abends im Flieger nach Bariloche. Dachten wir. Unser Flugzeug wird umgeleitet nach Neuquén (ca. 440 km nordöstlich von Bariloche) aufgrund von "Vulkanasche" - so die spärliche Info! Später erfahren wir, dass heftige Winde nahe Bariloche Waldbrände angefacht haben, wodurch die oberflächliche Vulkanasche der chilenischen Bergkette Caule von den letzten Ausbrüchen 2011 bzw. 2015 aufgewirbelt wurde. Deshalb musste der Flugverkehr eingestellt werden.
Anm. 2011 wurde Bariloches Flughafen ganze 14 Monate gesperrt! Die Region hängt zu 100% an dieser Lebensader und war infolgedessen mehr oder weniger vom Rest des Landes abgeschnitten! Der Tourismus kam fast komplett zum Erliegen! Heftige Zeiten waren das für die Bewohner*innen in Bariloche!
Jakob aus Fairbanks in Alaska sitzt im schaukelnden Flugzeug mit ähnlich viel Angst im Höschen neben mir, hat aber den strategischen Vorteil des mittleren Platzes und krallt sich ambitioniert in den Unterarm seines Kumpels zur rechten. Der hält ganz kernig diesem Stand! Mir bleibt nur die Kunststoff-Armlehne - ich will den armen Kerl ja nicht zusätzlich verängstigen, bin aber kurz davor aus lauter Angst! Christian weilt entspannt irgendwo weiter hinten im Flieger... Jakobs und mein verzweifelter Humor gepaart mit Sarkasmus und Ironie schaffen immerhin eine unterhaltsame Ebene, so dass wir uns beide fragen, was uns geritten hat, in diesem verr... Flieger zu sitzen und aufs Neue immer wieder zu fliegen! Darüber werde ich noch oft nachdenken... Wenigstens wollen wir lachend abstürzen, sagen wir. Immerhin sind wir alle froh, überhaupt unbeschadet gelandet zu sein, denn dieser Flug war mehr als bumby und ruckelig. Grauenvoll! Die Passagiere klatschen aus Erleichterung ohne Crash gelandet zu sein! Btw: Mein Unwohlsein und pure Angst lassen im Übrigen nicht nach je öfter ich fliege!
Auf dem Rollfeld wartend, haben wir immer noch keine Ahnung, was tatsächlich passiert ist. Wir befürchten zurück nach BA fliegen zu müssen, können dann aber nach Entscheidung des Traffic Controllers aussteigen.
Unsere Agentur arbeitete im Hintergrund auf Hochtouren und kann binnen zwei Minuten entsprechende Hotelzimmer In Neuquén organisieren! Zwar begrüßt uns erstmal ne Spinne an der Wand, der gammelige Teppich ist eine antike Sammlung vergangener Bewohner und ihrer Spuren - aber wir haben ein Bett mit Bad! Das Frühstück am nächsten Morgen besteht nur durch Simones Verhandlungsgeschick aus ein paar Früchten. Denn das gibt es erst ab 7 Uhr - dass wir um 6.15 Uhr aber schon am Busbahnhof sein müssen, juckt den Rezeptionisten so wenig wie Helmut Schmidt das Rauchverbot! Soviel zur argentinischen Serviceorientierung! Ideal bieten sich für unterwegs oder auf nen Haps natürlich Orangen 🍊 an 🫣! Die wenigen Bananen sind schon vergriffen!
Bariloche erreichen wir mit einem äußerst komfortablen Fernbus - wäre da nicht die Chips futternde, schmatzende, mit 6 Plastiktüten und 2 Paar Flipflops mitführende, Billigparfumsprühende Südamerikanerin gewesen, die sich irgendwelche Videos laut anschaute und mit ihrem Alten via Lautsprecher telefonierte... Meinem Unmut verlieh ich nach geduldigen 10 Minuten Ausdruck - per Körpersprache und eindeutiger Mimik - sie verstand.
Das Handy war anschließend immerhin fast stumm und die Gardine zwischen uns ein eiserner Vorhang. Nie habe ich Gardinen mehr geschätzt als bei dieser Busfahrt!
Ich frage mich allerdings schon, warum alle Paare unserer Reisegruppe meistens zusammensaßen, nur wir nicht? Naja, Christian saß zwar neben mir, aber auf einem Einzelplatz! Egal, wir haben es überlebt und die Lady mit Tüten und in Flipflops auch...
Fragt nicht nach dem Grund der Migräne, die mir zu schaffen machte auf dem Weg nach Bariloche. Aber gedoped erlebte ich noch ein interessantes Nachmittagsprogramm: Wir fuhren per Sessellift auf einen Berg mit herrlicher Aussicht, liefen dann hinunter mit unserer Guidin Gabriella und wanderten durch den dortigen Wald - lernen kalte und warme Bäume (Lengas = Scheinbuchen) und den heimischen Bambus kennen.
Am nächsten Tag stand die Generalprobe für unsere 4-tägige Wanderung des W-Trails an! Wir legten zum Cerro Catedral und dem Refugio Frey etwa 750 hm zurück und brauchten dafür inkl. Pause ca. 9 Stunden - schweißtreibend, anstrengend schön und abgerundet mit tollem Seeblick.
Kleine Anekdote: Wir hatten im Vorfeld die Hoffnung, Condore zu sehen, was nicht selten der Fall dort ist. Eine Lady stieg mit mir parallel nach oben und schrie auf einmal aufgeregt dort seien Condore am Gipfel!!! Ich blickte hoch, sah mit meiner Sonnenbrille etwas Türkises unterhalb des Gipfels hängen... wir mussten beide herzhaft lachen - der vermeintliche Condor waren zwei Kletterer, die im Fels hingen... Aber sehr sympathisch die Lady, weil sie so herrlich über sich selber lachen konnte!
Den Abend ließen wir in einem Restaurant ausklingen, bei dem wir gaaaaanz kleine Portionen aßen - allein eine Portion Pommes hätte fünf Personen gesättigt! Christian teilte sich eine Portion Ribeye mit Roger, ich hatte Lamm, was etwas herber als bei uns schmeckte. Das liegt an den besonderen Büschen und Gräsern der Steppe, die die Schafe fressen.
Die Schwere der Fleischberge bekämpften wir mit Underberg - Kitty und Roger aus Weimar spendierten uns einen - den nehmen die beiden Reiseerfahrenen immer mit auf ihre Abenteuer. ...wegen Magen und so - Keime haben bei dem Gebräu gewiss keine Chance, das können wir inzwischen bestätigen!
Ein spezieller Dank geht an dieser Stelle nach Weimar für die gemeinsamen Underberg- und anderen saulustigen Momente!
To be continued.
bb
Liebe Britta, toller Reisebericht. Hatte ständig Kopfkino. Ein musst Du mir noch verraten: Warum nennst Du Eure Reiseleiterin liebevoll Schlampe. Liebe Grüße nach Chile, Thomas